Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin

Kleine Geschichte der Anästhesie

Historisch hat sich die Anästhesie erst im vergangenen Jahrhundert als selbständige medizinische Disziplin entwickelt. Dabei gibt es aus allen Epochen Berichte und Schilderungen über Wege der Schmerzbekämpfung. Die alttestamentarische Schilderung der Erschaffung der Eva enthält den bemerkenswerten Hinweis auf die Entnahme von Adams Rippe im Schlaf, vergleichbar einer Operation in Narkose.

Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloß die Stätte
zu mit Fleisch. (Genesis II, 21)

Operationen als Todeskampf

Zu allen Zeiten versuchte der Mensch, Krankheiten nicht nur mit Medikamenten, sondern auch mit chirurgischen Mitteln wie Einrenken, Schienen, Brennen, Schneiden, Nähen und Verbinden zu heilen. Die Mittel und Möglichkeiten waren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr begrenzt. Eine Operation wurde, wenn überhaupt, nur als allerletztes Mittel eingesetzt, wenn man selbst lebensbedrohliche Komplikationen und den Todeskampf des Patienten während der Operation in Kauf nehmen mußte. Blutungen und Infektionen waren nicht behandelbar, Schmerzen galten als unvermeidlich. Fieber und Schüttelfrost waren die Vorboten des Todes. Gegen den Schmerz versuchte man durch Alkohol und allerlei pflanzliche Extrakte und Essenzen (u.a. Opium, Hanf, Mandragora) einen Rauschzustand herbeizuführen, Wirkmechanismen waren nicht bekannt. Obwohl dem Pfarrer Joseph Priestley schon 1775 die Synthese von Lachgas gelang und dieses als Rauschmittel zur Belustigung angewendet wurde, obwohl Humphrey Davy 1800 seine analgetischen Eigenschaften bemerkte, dauerte es noch fast 50 Jahre, bis Lachgas zur Narkose verwendet wurde. Auch die schon seit über 250 Jahren bekannten Substanzen Äther und Opium fanden keinen Eingang in die chirurgische Behandlung. "Schmerzen bei Operationen zu vermeiden ist eine Schimäre, die man heute nicht mehr weiter verfolgen darf" schrieb der französische Chirurg Velpeau noch 1839.

Grundstein zur modernen Anästhesie - der "Äthertag"

Die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts brachten dann den Durchbruch. Eher zufällig entdeckte ein Dorfzahnarzt, Horace Wells, bei einer Jahrmarktvorführung, daß Verletzungen nach Lachgasinhalation offenbar nicht zu Schmerzen führten. Er führte die Lachgasinhalation bei sich und seinen Patienten mit Erfolg durch, scheiterte aber 1845 bei einer Demonstration seiner "Narkose" vor einer angesehenen Bostoner Chirurgenschaft. Wells und sein Lachgas mussten unter Pfiffen und Rufen die Bühne des Operationssaals verlassen. 1846 war es dann ein ehemaliger Schüler Wells', William Morton, der an gleicher Stelle in Boston erfolgreich eine Narkose mit Schwefeläther bei einer Halsoperation des berühmten Chirurgen John Collins Warren durchführte und dieser die Methode ernstnahm. "Gentleman, this is no humbug" soll Warren zu seinem kritischen Fachpublikum gesagt haben.

Dieser historische Tag ging als "Äthertag" in die Geschichte ein und begründete die Entwicklung der modernen Anästhesie.

Noch im gleichen Jahr gelangten Berichte nach London, wo sie teils begeistert, teils ablehnend aufgenommen wurden ("Yankee-Bluff, amerikanische Windbeutelei, grausam, unmoralisch, entwürdigend"). 300 Jahre nach der Erfindung der Äthernarkose durch Valerius Cordus 1540 kehrte sie nach Europa zurück und verbreitete sich hier nicht zuletzt nachdem 1849 Crawford Williamson Long seine Erfahrungen mit Äthernarkosen bei zahnchirurgischen Eingriffen, die er bereits seit 1842 durchführte, veröffentlichte. Nur ein Jahr später wurde die erste Narkose mit Chloroform (Chloräther) durchgeführt, eine Methode, die sich bald gegen den Schwefeläther behauptete, da sie weniger reizend und leichter zu handhaben war. Simpson setzte Chloroform 1848 erstmals in der Geburtshilfe ein und löste dadurch eine heftige Reaktion von Kirche und Gesellschaft aus.

Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären. (Genesis II, 16)

Erst als John Snow 1853 bei Königin Victoria zur Geburt ihres Sohnes Prinz Leopold eine Chloroformnarkose durchführte, erlangte die Narkose in der Geburtshilfe gesellschaftliche Akzeptanz.

Die Einführung der Narkose war eine von drei Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der chirurgischen Disziplinen:

"Dank der Ausschaltung der Schmerzen kann jeder sich Zeit nehmen; gut arbeiten, so heißt die Devise, vor allem gut; schnell, wenn man kann, auf alle Fälle aber gut" (Farabeuf, 1881)

Ebenso historische Bedeutung erlangte die Infektionslehre mit der Einführung der Asepsis und Antisepsis. Und schließlich schuf das wachsende Wissen um die Physiologie und Pathophysiologie der Organfunktionen neue operative Therapiemöglichkeiten.

Die Regionalanästhesie

Die Regionalanästhesie entwickelte sich fast zeitgleich mit der Narkose. 1868 beschrieb der peruanische Generalarzt Thomas Moréno y Maiz erstmals die anästhesierende Wirkung von Kokain, die der Augenarzt Carl Koller nach einigen Tierversuchen 1884 erfolgreich für eine Augenoperation einsetzte: die Lokalanästhesie war geboren. In allen Fächern wurden bald Oberflächen-, Infiltrations- und Leitungsanästhesien mit Kokain durchgeführt. 1885 entwickelte Corning die Spinalanästhesie, Bier und Hildebrandt erkannten 1898 in Kiel deren Nutzen für operative Eingriffe. 1901 beschrieb der Franzose Cathelin die kaudale Epiduralanästhesie. 1908 setzte sie der Berliner Gynäkologe Walter Stoeckel erstmals zur Geburtshilfe ein, 1910 wurde sie durch Arthur Läwen auch zu Operationen am unteren Abdomen eingesetzt. 1921 entwickelt Fidel Pagés die lumbale Periduralanästhesie. Zeitweise schien die Regionalanästhesie die Narkose mit ihrer noch hohen Komplikationsrate zu verdrängen, nach einigen Wellen der Entwicklung stehen die beiden Verfahren heute nahezu gleichberechtigt nebeneinander und werden gezielt nach den jeweiligen Gegebenheiten, zum Teil auch in Kombination, eingesetzt.

Etablierung der jungen Disziplin Anästhesie

Tödliche Komplikationen warfen von Anfang an Schatten auf die Narkose und führten zu einer zunehmenden wissenschaftlichen Aktivität der operierenden Ärzte, meist Chirurgen, Gynäkologen oder Zahnärzte. John Snow legte mit seinen bedeutenden und wegbereitenden Entdeckungen die Basis für die wissenschaftliche Entwicklung der Anästhesie. Die Verwendung von Sauerstoff, Medikamentenkombinationen oder Muskelrelaxanzien oder auch die zahlreichen technischen Errungenschaften wie das Narkosebeatmungsgerät, EKG- und Blutdruckmeßgerät und Intubationsverfahren senkten die Komplikationsraten. Zahlreiche Ärzte widmeten sich dieser neuen medizinischen Disziplin und gründeten 1893 in London die Society of Anaesthetists. Fachgesellschaften für Anästhesie in Europa und Deutschland folgten. 1949 wurde in Deutschland die Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie eingeführt.

Moderne Anästhesie

Dem heutigen Anästhesisten stehen eine enorme Zahl verschiedener Medikamente und Anästhesietechniken zur Verfügung, deren Einsatz angepasst an den Gesundheitszustand und Komfort des Patienten und an das jeweils geplante Operationsverfahren erfolgt und die dem Patienten größtmögliche Sicherheit bieten. Der Anästhesist hat heute auch die Verantwortung für die Vorbereitung des Patienten auf die Narkose und seine Überwachung nach einer Narkose und Operation. Dadurch ergibt sich auch die Zuständigkeit für die operative Intensivmedizin und die postoperative Schmerztherapie. Seine Erfahrung mit der Behandlung von Schmerzen finden Eingang in die nicht-operative und geburtshilfliche Schmerztherapie und nicht zuletzt leistet er durch seine Routine mit der Beherrschung von Störungen der lebenswichtigen Körperfunktionen einen entscheidenden Beitrag zur Notfallmedizin.

Quellen: Ludwig Brandt (Hrsg.), Illustrierte Geschichte der Anästhesie; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 1997; Richard Toellner (Hrsg.), Illustrierte Geschichte der Medizin; Andreas & Andreas, Verlagsbuchhandel, Salzburg 1990

 

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